Du im Raum

Räume im Inneren von Gebäuden sind Orte von körperlichem Ausdruck und sinnlicher Wirkung. Wenn wir hineintreten, eröffnen sich uns jedes Mal neue und vielfältige Architekturerfahrungen. Von Kindheit an erfahren wir Räume mit allen Sinnen und orientieren uns mit wachsender Erfahrenheit in der Welt. Sinnliche Raumerfahrungen begleiten uns ein Leben lang.

Um die Wirkungen von Architektur auf den Menschen zu beleuchten, rückt die besondere Beziehung zwischen Mensch und Raum in den Fokus. Der architektonisch gestaltete Innenraum ist ein Phänomen, er artikuliert greifbar die Schnittstelle zwischen dem Dasein und der Umgebung. Im gebauten Raum erlebt sich der Mensch selbst, wie er mit Hilfe seiner naturgegebenen Fähigkeiten die Umgebung sinnlich wahrnimmt und wie seine eigene körperliche Gestalt mit dem Körper des Raumes in Beziehung tritt; beispielweise beim Anlehnen, beim Aufrichten, beim Umdrehen, usw. Betreten wir einen Raum, reagieren wir intuitiv auf dessen atmosphärische Stimmung. Jedes konstruktive Bauteil und auch gestalterische architektonische Details wie Stützen, Fugen, Muster und Formen beispielsweise wirken, ob wir sie bewusst oder unbewusst wahrnehmen.

© Johannes Maria Klug

Es sind zumeist großartig gelungene Räume, die synästhetische Erlebnisse auslösen. Diese Räume erweitern und vertiefen das menschliche Vorstellungsvermögen. Zum gestalterisch verdichteten Ort zählt der sakrale Innenraum. Wenn wir uns diesen Räumen nähern, drängen sich verschiedene Phänomene im Raum geradezu auf. Auf den stillen und ruhenden Kirchenraum reagieren wir, indem wir langsamer und ruhiger werden. Damit werden wir aufnahmefähiger für Details und deren Wirkungen. Im schweigenden Raumkörper kommen wir den Dingen der Umgebung physisch wie psychisch sehr nahe, wir lassen uns darauf ein und es kann eine Art schweigender Dialog mit dem Raum entstehen. Der architektonische Raum ist nicht nur Ausdruck einer vergangenen Zeitepoche mit spezifischer kunsthistorischer Bedeutung, sondern vor allem ein immerwährendes Erlebnis.

Die Wirkungen architektonischer Räume bleiben auch künftig ein wesentlicher Indikator für uns Menschen zum Verständnis unserer Leiblichkeit in der Welt.

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Ausstellungsort

Die Räumlichkeiten der Wiener Votivkirche bieten ein reiches Repertoire für facettenreiche Raumerfahrungen. In mehreren Kranzkapellen im Chorumgang und einem ehemaligen Kaiseroratorium in erhöhter Lage im Kirchenraum lässt sich die Thematik nicht nur sehr gut veranschaulichen, sondern jede und jeder Einzelne kann hierin die Wirkungen architektonischer Räume spüren und nachvollziehen.

Wiener Votivkirche

Bauzeit: 1854 – 1879

Architekt: Heinrich von Ferstel

Rooseveltplatz, 1090 Wien

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